Alles andere als Mist

12.11.2013

Reisende soll man nicht aufhalten, heißt es. Und die SPD war schon damals – im Jahr 2005 – nicht zu bremsen. Opposition sei Mist, verlautbarte der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Und was folgte waren vier schlechte Jahre für die Beschäftigten, für den Bildungsbereich, die Rentnerinnen und Rentner wie für die Erwerbslosen. Die Große Koalition in den Jahren 2005 bis 2009 brachte viele politische Rückschritte mit sich. Erinnert sei nur an die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre, die Föderalismusreform oder die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz. Die Hartz-Gesetze und die Schikane durch die Job-Center wurden verschärft, vor allem für junge Arbeitssuchende und eheähnliche Gemeinschaften. Steuerpolitisch folgten CDU/CSU und SPD dem Matthäus-Prinzip: Wer hatte, dem wurde gegeben und wer wenig hatte, dem wurde genommen. Die Mehrwertsteuer, die als Massensteuer immer primär die
mittleren und geringen Einkommen trifft, wurde auf 19 Prozent erhöht. Kapitaleigentümer und Spitzenverdienende hingegen wurden steuerlich entlastet. Einen besonders großen verteilungspolitischen Skandal bot die Erbschaftssteuerreform, der den Wohlhabenden und Superreichen erhebliche Steuergeschenke bescherte.

Man könnte meinen, die SPD hätte aus ihren damaligen Fehlern lernen müssen. Ihr historisch schlechtes Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2009 bescheinigte ihr schließlich, dass viele ihrer
Anhängerinnen und Anhänger sich nach der letzten Großen Koalition von ihr abgewendet hatten. Und das verlorengegangene Vertrauen hat sie bis heute nicht wettmachen können. Und dennoch war der Fahrplan für die SPD-Führung nach den jüngsten Wahlen klar. Während man öffentlich, und vor allem gegenüber der eigenen Mitgliedschaft, herumdruckste, steuerten der SPD-Chef Gabriel und sein Gefolge hinter den Kulissen schnurstracks auf eine erneute Regierungsbeteiligung unter Merkel zu. Von vornherein war dabei klar, dass die wohlfeile SPD-Wahlkampfrhetorik bezüglich einer neuen soziale Gerechtigkeit mit einer Merkel-Regierung bloße Makulatur bleiben würde. Auch in dem auf dem Parteikonvent verabschiedeten 10-Punkte-Papier, den Mindestanforderungen für eine Unterstützung von Merkel, gab sich die SPD kleinlaut. Wolfgang Lieb von den Nachdenkseiten hat  richtigerweise darauf hingewiesen, dass die SPD sich in dem 10-Punkte-Papier größtenteils aufs „Verbessern“ beschränkt. 11 Mal taucht das Wort „besser“ mit seinen Ableitungen in dem Papier auf. Lieb ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass „es besser machen“ aber eben bedeutet, es nicht „anders“ machen zu wollen. „Besser“ ist die Steigerungsform von „gut“ – der Merkel-Regierung wird damit nachträglich eine gute Regierungsarbeit bescheinigt.

Der LINKEN stehen entscheidende Jahre bevor. Sie muss sich einer Über-Großen Koalition gegenüber behaupten – Union und SPD verfügen im neuen Bundestag über gut 500 der insgesamt 630 Abgeordnetensitze. Die LINKE muss daher nicht nur die Rechte der Opposition verteidigen, sie muss sich noch stärker als Anwältin der sozialen Interessen im Bundestag aufstellen. Die Union, die sich bei unbeliebten und marktradikalen Entscheidungen bislang hinter der FDP verstecken konnte, gilt es öffentlich zu stellen – sie betreibt eine Politik gegen die arbeitende Mehrheit der Bevölkerung. Eine Merkel-opportune SPD muss es sich gefallen lassen, für eben diese Politik nun in Mithaftung genommen zu werden. Mehr noch als bisher wird es darauf ankommen, dass wir die Zusammenarbeit mit den außerparlamentarischen Akteuren suchen – vor allem mit den Gewerkschaften und den Gewerkschaftsaktiven in den Betrieben vor Ort. Zu beachten ist hierbei, dass einige in der Gewerkschaftsbewegung durchaus Hoffnungen hegen bezüglich der bevorstehenden Großen Koalition. Diese Hoffnungen nähren sich aus den konjunkturpolitischen Entscheidungen unter Merkel und Olaf Scholz im Zuge der Finanz- und Eurokrise in den Jahren 2008 und 2009. Es ist daher wichtig, dass wir unsere alternative Eurokrisenpolitik auf diese Argumente lenken – zumal zu der damaligen Koalitionspolitik neben der Abwrackprämie eben auch die Austeritätsmaßnahmen und die negativen Folgen der deutschen Exportüberschüsse gehören. Wir müssen konkrete Alternativen zu der Koalitionspolitik vorweisen können und wir müssen mittel- und langfristige gesellschaftliche Reformprojekte entwickeln, die im Interesse der Beschäftigten liegen. Das geht nur mit einer breiten Allianz der sozialen Kräfte in diesem Land. Die neue Fraktion der LINKEN hat hierfür bereits die Weichen gestellt. Auf ihrer ersten Klausur verabschiedete sie ein 100-Tage-Programm. Damit hat sie 10 Kernziele der Fraktion für die anstehende Wahlperiode definiert, zuvorderst die Zurückdrängung und Überwindung der prekären Beschäftigung, Initiativen gegen die Altersarmut (vor allem die Abschaffung der Rente erst mit 67) und für Steuergerechtigkeit, den Widerstand gegen die Zwei-Klassen-Medizin, die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro und die Abschaffung der Sanktionen. Und nicht zuletzt wird ein gesetzlicher, einheitlicher und damit ein guter Mindestlohn auf der Agenda der LINKEN stehen.

Erfolgreich können wir nur sein, wenn wir für diese Programmpunkte einen starken Rückhalt in der Bevölkerung gewinnen. Und das wird alles andere als leicht. Aber wir müssen und wir werden diese Herausforderungen annehmen. Denn Opposition ist eben nicht, ja alles andere als Mist. Sie ist der Anfang von Veränderung und angesichts der großkoalitionären Übermacht im Bundestag wichtiger denn je.

 

von Jutta Krellmann, MdB