Das Tarifeinheitsgesetz war erst der Anfang (Gastkommentar)

28.07.2015

Union und SPD haben das umstrittene Tarifeinheitsgesetz von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles Ende Mai im Bundestag abgenickt; bewusst, entgegen dem ausdrücklichen Rat von Gewerkschaftern und Arbeitsrechtlern. Die Öffentlichkeit wurde von der Notwendigkeit dieses Gesetzes überzeugt, indem der Arbeitgeber Bahn begleitend den laufenden Tarifkonflikt in die Länge zog und damit bewusst Streiks provozierte. Theatralisch beschrieben Arbeitgeberlobby und Medien daraufhin Szenarien einer nicht mehr funktionsfähigen öffentlichen Infrastruktur. Die Bundesregierung nutzte die hysterische Berichterstattung, um das Streikrecht in Deutschland auszuhebeln und um die Koalitionsfreiheit einzuschränken.

Die Pläne dazu sind nicht neu, doch scheiterten 2010 erste Versuche der CDU/CSU am Widerstand des damaligen Koalitionspartners FDP. Die Arbeitgeberverbände und ihre Lobbyisten ließen jedoch nicht locker. Was vorher nicht ging, funktioniert 2015 reibungslos mit den Sozialdemokraten. Die SPD hat sich in dieser ideologisch geführten Debatte erneut zur Handlangerin der Arbeitgeberverbände gemacht und führt damit die Tradition ihrer arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichen Politik der letzten Jahre ungerührt fort. Sozialdemokratische Wurzeln, noch vor kurzem gefeiert, sind nicht mehr zu erkennen.

Für ihre tarifpolitischen Kernaufgaben werden Gewerkschaften in Zeiten des Tarifeinheitsgesetzes weniger Zeit haben. Denn statt sich für eine Steigerung der Löhne und Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Mitglieder einzusetzen, wird ihr Tagesgeschäft zukünftig von verfassungsrechtlichen Klärungen und notariellen Mitgliederzählungen bestimmt. Der zu befürchtende Wettbewerb um die meisten Mitglieder wird unabsehbare Folgen, nicht zuletzt für die Durchsetzungskraft von Tarifforderungen, haben. Zumindest solange das Bundesverfassungsgericht dieses unsinnige Gesetz nicht stoppt.
Das Prinzip »Ein Betrieb – Ein Tarifvertrag«

Die Tarifeinheit verbunden mit der Idee der Einheitsgewerkschaft war und ist historischer Auftrag der politischen Linken und zugleich ureigenes politisches Ziel unserer Gewerkschaften. Der Gedanke der Einheit ist unsere Antwort auf Krieg und Faschismus. Durch den Zusammenschluss aller abhängig Beschäftigten soll eine solidarische Interessenvertretung erreicht werden, die mit Solidarität statt Konkurrenz den Abschluss von einheitlichen Tarifverträgen für alle Branchen oder Betriebe durchsetzt. Zur gewerkschaftlichen Solidarität gehört auch, dass sich Stärkere mit ihrer Durchsetzungsmacht zugleich für Schwächere einsetzen. Dieses sinnvolle historisch gewachsene und praxiserprobte Prinzip muss aber durch die Gewerkschaften selbst durchgesetzt werden. Auf der Basis politisch verbesserter Rahmenbedingungen, nicht aber durch Einschränkungen des Tarif- und Streikrechts. Die Sicherung der Tarifeinheit ist per Definition damit alleinige Aufgabe der Gewerkschaften; und nicht des Gesetzgebers!

Um Tarifeinheit muss man streiten, im Zweifel jedes Mal neu

Dass die Tarifeinheit in Deutschland gefährdet ist, ist nicht das Ergebnis kleinerer (Sparten-)Gewerkschaften, sondern das Werk von Arbeitgebern und ihren Verbänden, die diese Situation bewusst herbeigeführt haben. Viele Betriebe sehen heute von außen zwar noch wie »ein« Betrieb aus, aber auf dem Werksgelände gibt es schon lange nicht mehr »eine« Belegschaft, geschweige denn »einen« Tarifvertrag. Kantine, Logistik, Zulieferung oder Warenverräumung sind nur einige Beispiele, die mittlerweile von betriebsexternem Personal ausgeführt werden. Für diese Beschäftigten gibt es, wenn überhaupt, andere Entgeltbedingungen, die in der Regel schlechter sind. Parallel begehen Arbeitgeber und ihre Verbände massenhaft Tarifflucht und haben so entscheidend dazu beigetragen, dass die historisch gewachsene Tarifeinheit und damit die Tarifbindung in Deutschland systematisch zerstört wurden.

SPD: Stets bemüht und wieder nichts erreicht

Frau Nahles und ihre SPD sind angetreten, um angeblich die unabhängige Tarifpartnerschaft zwischen Arbeitgebern, Beschäftigten und den jeweiligen Verbänden stärken. Aber statt den Arbeitgebern zum Schutz und zur Stärkung der Tarifautonomie endlich Zügel anzulegen, lassen sie diese weiterhin hemmungslos deregulieren, entlassen, flexibilisieren, befristen und outsourcen. In Kombination mit der Möglichkeit, auf die Anwendung von Tarifverträgen zu verzichten, ist es den Arbeitgebern mit Hilfe des Gesetzgebers innerhalb weniger Jahre gelungen, die Tarifautonomie anzugreifen und dadurch Beschäftigtenstandards und Arbeitnehmerschutzrechte insgesamt abzusenken.

Wer hingegen Tarifautonomie ernsthaft stärken will, muss zur Abwechslung auch mal Verbesserungen für Beschäftigte umsetzen und Arbeitgebern klare Grenzen aufzeigen. Wer Tarifautonomie stärken will, muss Leiharbeit und Werkvertragsmissbrauch den Kampf ansagen. Der muss bereit sein, über erweiterte Mitbestimmung und Mitgestaltung bei der Arbeit zu reden. Mitgliedschaften ohne Tarifbindung in Arbeitgeberverbänden müssen abgeschafft und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden. Wer dazu aber nicht bereit ist und stattdessen auf dieses Tarifeinheitsgesetz setzt, zerstört letztlich die Idee der Tarifautonomie.

Die CSU treibt bereits „die nächste Sau durchs Dorf“

Längst ist klar, dass das Tarifeinheitsgesetz nur die Vorstufe eines viel weitreichenderen Plans ist. Neuerdings beklagen die Arbeitgeber jetzt die Streikrepublik, obwohl Deutschland im internationalen Vergleich – trotz Bahnstreik – kaum auffällt. Interessanterweise fanden letztes Jahr jedoch neun von zehn Arbeitskämpfen im Organisationsbereich der Gewerkschaft ver.di statt, etwa in der Dienstleistung oder in der öffentlichen Daseinsvorsorge. In diesen Bereichen sind die Beschäftigten oft abhängig von öffentlichen Mitteln und damit verbunden ist die Frage, was uns als Gesellschaft diese Dienstleistungen wert sind.

Deswegen will die CSU das Streikrecht komplett »modernisieren« und fordert Zwangsschlichtungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge und bei kritischen Infrastrukturen. Das heißt, dass der Lokführerin oder dem Krankenpfleger das Streikrecht ganz entzogen werden soll. Deren Betriebe seien für die Funktionsfähigkeit unseres Staates von unerlässlicher Bedeutung. Aber so geht das nicht: Zehntausenden Beschäftigten in der öffentlichen Daseinsvorsorge erst durch den staatlichen Privatisierungswahn den Beamtenstatus entziehen, um ihnen dann jetzt dafür ihr neu gewonnenes Streikrecht wieder zu nehmen. Aber das offenbart das eigentliche Ziel. Wenn die öffentliche Daseinsvorsorge für die Funktionsfähigkeit unseres Landes angeblich von so unerlässlicher Bedeutung ist, dann muss der Staat Verantwortung übernehmen und die Privatisierung dieser Betriebe zurücknehmen.

Der SPD muss klar sein, dass es nur mit ihrer Beihilfe möglich war, die Büchse der Pandora zur weiteren Einschränkung des Streikrechts zu öffnen.

Ein Gastbeitrag von Jutta Krellmann (59), sie ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag und Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung. Thematisch beschäftigt sie sich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, Mindestlohn, Tarifeinheit und der Ver- und Behinderung von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit. Es ist ihre zweite Wahlperiode und ihr Wahlkreis liegt in Hameln-Pyrmont – Holzminden, wo sie auch lebt. Jutta Krellmann hat 2004 aktiv die WASG und später DIE LINKE in Niedersachsen aufgebaut. Seit 1985 arbeitet sie als Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in Hameln, wo sie bis heute beschäftigt ist.

Beitrag vom 27.07.2015, Freiheitsliebe