Streikkonferenz: Her mit dem besseren Leben

30.09.2016

Plädoyer für eine kämpferische und selbstbewusste Gewerkschaftsbewegung

Die Zunahme der betrieblichen und tarifpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre verdient meine höchste Anerkennung. Sie werden entlang wichtiger gesellschaftlicher Fragen, wie Arbeitszeit, Personalbemessung oder Aufwertung der eigenen Arbeit geführt. Im Zentrum steht immer der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Gleichzeitig aber bereitet mir Sorge, wie sich Spitzen der Gewerkschaften mit der Politik ohne Not auf faule Kompromisse einigen, in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun, wie beispielsweise beim Tarifeinheitsgesetz oder ganz aktuell bei Leiharbeit. Das Ergebnis dieser Diskrepanz von Basis und Führung ist fatal, denn die innergewerkschaftliche Demokratie wird so in Frage gestellt.

Dabei entpuppt sich der vermeintlich gute Draht der „Gewerkschaftsbosse“  in das SPD-geführte Arbeitsministerium einmal mehr als Kuckucksei, wie derzeit die Debatte um die Zukunft der Arbeit zeigt. Noch bevor die IG Metall mit ihrer aktuellen Arbeitszeitkampagne eine gesellschaftliche Diskussion richtig losgetreten hat, diskutiert deren Führung schon mit der Bundesarbeitsministerin über eine Verkürzung der Ruhezeiten im Arbeitszeitgesetz. Mit der Folge, dass zukünftige betriebliche Vereinbarungen hierzu genauso erschwert werden, wie Fortschritte für die Beschäftigten. Schutzgesetze werden so durch die Schützer selbst aufgeweicht. Abwehrkämpfe gegen Ausgliederung und Lohndumping haben viele nach vorn gerichtete Elemente wie die Reduzierung der Arbeitszeit oder Eingruppierungsdiskussionen insgesamt erschwert. Die Vorwegnahme gemeinsamer demokratischer Diskussionen wird durch diese Art des vorauseilenden Gehorsams eher beschädigt und gleichzeitig leidet die Solidarität der Mitgliedsgewerkschaften untereinander.

Gemeinsam gewinnen!

Die Tarifkämpfe der letzten Jahre haben gezeigt, dass diese Dynamik nicht naturgegeben ist, sondern durch konfliktorientierte Gewerkschaftsarbeit durchbrochen werden kann. Viele Beschäftigte wollen sich mit einer schleichenden Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen nicht länger abfinden. Vielerorts hat eine neue Generation von Beschäftigten in unzähligen Streikaktionen, mit Phantasie und Kreativität, die Tarifkämpfe begleitet. Die hier gemachten Erfahrungen sind unabhängig vom jeweiligen Ergebnis der Tarifrunden ein Erfolg. Die Beschäftigten haben sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und verknüpften ihre Tarifforderungen mit gesellschaftlichen Fragen. Das Einfordern der gesellschaftlichen Relevanz und die Solidarität der Beschäftigten untereinander über Branchengrenzen hinweg, ist ein neues Zugpferd, mit dem die Gewerkschaften ihre bisweilen bleierne Defensive überwinden können.

Wir müssen den Betrieb als Schauplatz gesellschaftlicher Diskussionen zurückzuerobern. Die Spitzen der Gewerkschaften ihrerseits müssen im Interesse der Einheitsgewerkschaft wieder lernen, dass der Konferenztisch im Arbeitsministerium nicht der einzige Schauplatz ist, an denen sie etwas ausrichten können. Sie müssen den Hintern in der Hose haben, ihn zu verlassen und mit ihren Forderungen im Gepäck, breite gesellschaftliche Debatten in Gang zu setzen. Kämpferische Gewerkschafter/innen an der Basis haben ihnen die letzten Jahre gezeigt, wie so etwas geht. Diese neue Dynamik aufzugreifen birgt Potential für eine von Grund auf erneuerte und selbstbewusste Gewerkschaftsbewegung.

Dieser Artikel ist in der Septemberausgabe der Zeitung betrieb und gewerkschaft erschienen.

Jutta Krellmann ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, Gewerkschaftssekretärin der IG Metall in Hameln und Mitglied der LAG Betrieb & Gewerkschaft in Niedersachsen