Interview mit Jutta Krellmann für das Onlinemagazin Donnerwetter

19.06.2013

1) Die Linksfraktion will Leiharbeit verbieten. Was geschieht dann mit den derzeit knapp 900.000 Leiharbeitern in Deutschland?

Jutta Krellmann: Die Leiharbeit wird sicherlich nicht von jetzt auf gleich verboten. Nach einem Diskussionsprozess folgt ein Stichdatum und dann bleibt genug Zeit, sich darauf einzustellen und vorzubereiten.

Wichtig ist uns, dass die Leiharbeitsbeschäftigten eine Perspektive haben. Und hier müssen die Entleihbetriebe in die Pflicht genommen werden.

Nach dem alten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vor 2003 durften Leiharbeiter nicht länger als drei Monate im gleichen Betrieb verbleiben. Wenn die Auftragsspitze noch da war, mussten sie übernommen werden. Nach der heutigen Rechtslage können Leiharbeitnehmer ein Leben lang als Leiharbeitnehmer im gleichen Betrieb arbeiten. Das ist einfach nicht tragbar und zutiefst ungerecht.

 2) Ohne Leiharbeit, welche Alternativen bleiben Unternehmen, auf Auftragsspitzen zu reagieren und im Krankheitsfall eines Mitarbeiters zeitnah einen Ersatz zu finden?

Jutta Krellmann: Für solche Fälle gibt es die Möglichkeit der Befristung mit sachlichem Grund. Mir scheint es oft, dass es für Personalchefs einfacher ist, auf Personaldienstleister oder Leiharbeit zurückzugreifen. Ansonsten finden Arbeitgeber mit einem guten Ruf, was Entlohnung und tarifliche Standards betrifft, in der Regel immer Beschäftigte, auch mit sachlich begründeter Befristung.

 3) Ihre Partei fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro, der bis zum Ende der Wahlperiode auf 12 Euro ansteigen soll. Führt dies nicht zu einer Einschränkung der Tarifautonomie in Deutschland?

Jutta Krellmann: Nein, denn die Politik muss ja zunächst den Rahmen setzen, in welchen sich die Tarifautonomie überhaupt entwickeln kann. Die verlangt nämlich nach Sozialpartnern auf Augenhöhe. Wir reden über Mindestlöhne mit denen Menschen nicht mit Hartz IV aufstocken müssen und mit denen sie von ihrer Arbeit leben können. Wir wollen, dass Menschen nach einem arbeitsreichen Leben nicht in der Altersarmut landen. Bei dem Mindesturlaub und dem Bundesurlaubsgesetz redet keiner mehr darüber – das ist akzeptiert und keiner beschwert sich über Einschränkungen der Tarifautonomie.

4) Im Wahlprogramm der Linken steht: „Kein Lohndumping über Werkverträge!“ Halten Sie Werkverträge für ausreichend gesetzlich reguliert? Welche zusätzlichen Maßnahmen halten Sie für sinnvoll?

Jutta Krellmann: Werkverträge sind eigentlich eine klassische Form der Arbeitsbeziehungen und stellten lange kein Problem dar. In der letzten Zeit aber wird mit Werkverträgen eine neue Niedriglohnlinie in den Betrieben etabliert und das ist ein Skandal. Werkvertragsbeschäftigte arbeiten hier oft zu niedrigeren Löhnen als die Leiharbeiter. Das Stichwort “Missbrauch“ spielt eine Rolle und da ist die Politik in der Pflicht. Die LINKE will diese Missbrauchsfälle besser statistisch erfassen und stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten von Betriebsräten in den Einsatzbetrieben erreichen. Wenn Betriebsräte zum Beispiel ein Vetorecht gegen den Einsatz von Werkverträgen hätten, wäre uns schon sehr geholfen.

5) Bei welchem Stundenlohn beginnt für die Linksfraktion der Niedriglohnsektor?
(Wenn unter 10 Euro: Warum 10 Euro Mindestlohn, woher kommt diese Summe? Wenn darüber: Warum dann Mindestlohn nur bei 10 Euro? Wenn bei 10 Euro: Schafft man dann nicht per Gesetz eine riesige Gruppe an Aufstockern?)

Jutta Krellmann: Die Niedriglohnschwelle wird von der Wissenschaft festgelegt und nicht von der LINKEN. Derzeit liegt diese bei 9,15 Euro, weil der Verdienst darunter weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns entspricht. Entscheidend für unsere 10-Euro-Forderung sind aber die Rentenansprüche. Mindestlohn bedeutet für uns, dass man nach 45 Jahren Vollzeitbeschäftigung nicht unter dem Existenzminimum von derzeit 678 Euro landet. Und das schafft man nur mit einem Stundenlohn von 10,40 Euro. Unser Mindestlohn verdient seinen Namen und ist dabei selbst nur die unterste Linie. Klar ist, wir müssen das Tarifsystem stabilisieren und alle Löhne nach oben ziehen. Und dafür brauchen wir eben auch einen guten, weil sicheren, Mindestlohn.