LINKE will konsequente Anti-Stress-Verordnung

17.04.2012

Der Arbeitsschutz gehört zu den von der Bundesregierung seit langem grob vernachlässigten Politikbereichen. Vor allem um die psychische Gesundheit der Beschäftigten hat sich die Politik bisher überhaupt nicht gekümmert. Und das, obwohl der Problemdruck unaufhörlich steigt und die Arbeitswelt immer mehr Stress, Arbeitsverdichtung, psychisch belastende Unsicherheiten und Angst mit sich bringt. Im Jahr 2010 belegten Depressionen erstmals den Spitzenplatz bei den Fehltagen. Und die Zahl der Menschen, die wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus mussten, hat in den vergangenen 20 Jahren um ganze 129 Prozent zugenommen. Die Diagnose >Burn-Out< wird immer häufiger gestellt - zwischen 2004 und 2010 sind die Krankheitstage deswegen nahezu um das 9-fache angestiegen. Der DGB hat kürzlich die Ergebnisse einer Umfrage unter Beschäftigten vorgestellt, die ebenso alarmierend sind. Demnach fühlen sich 52 Prozent der Befragten einer Arbeitshetze ausgesetzt, bei Frauen liegt der Anteil sogar bei 58 Prozent. Rund 63 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass sie seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten müssen.

Es ist ein Skandal, dass in vielen europäischen Ländern gesetzliche Schutzplanken gegen Arbeitsstress und -überbelastungen bestehen, die Beschäftigten in Deutschland aber von der Politik schutzlos zurückgelassen werden. Denn die im derzeitigen Arbeitsschutzgesetz vorgesehene Gefährdungsbeurteilung hat sich als zahnloser Tiger erwiesen. Nicht nur, dass diese Gefährdungsbeurteilungen kaum flächendeckend vorgenommen werden, psychische Belastungen und damit ganzheitliche Gefährdungseinschätzungen spielen dabei nur in den seltensten Fällen eine Rolle. Der IG-Metall-Initiative für eine Anti-Stress-Verordnung ist es zu verdanken, dass die arbeitsbedingten psychosozialen Risiken nun in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit geraten sind. Ziel dieser Initiative ist es, eine eigene Verordnung für die Stressprävention im Berufsleben durchzusetzen. In einer solchen Verordnung könnten konkrete Schutzmaßnahmen vorgeschrieben werden, z.B. Begrenzungen der Arbeitstaktungen, Regelungen zur Länge, Lage und Verteilung von Arbeitszeiten wie zur projektförmigen Arbeit. Die IG Metall erhofft sich, durch eine solche Verordnung die bestehende Schutzlücke schließen zu können. Für andere Gefährdungsbereiche gibt es bereits konkretisierende, so genannte untergesetzliche, Verordnungen, die auf dem seit 1996 bestehenden Arbeitsschutzgesetz beruhen – die Arbeitsstätten-, die Gefahrstoff- oder die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung zum Beispiel.

Die Unternehmen werden sich ohne eine Verordnung auf dem Gebiet psychisch-sozialer Gefährdungen wohl kaum bewegen. Immer noch ist eine Blockadehaltung von Konservativen, Wirtschaftsliberalen wie Unternehmensverbänden zu beobachten. Arbeitsschutz gilt ihnen als Teufelswerk der Überregulierung und Bremse im Wettbewerb - ein neoliberales Dogma, welchem wir mit einer weit gefächerten Strategie entgegentreten müssen. Die Linksfraktion unterstützt deshalb ausdrücklich die Initiative der IG Metall und wird deren Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung in ihrem Projekt für die Humanisierung der Arbeitswelt integrieren. Die ökonomische Brutalität des heutigen Kapitalismus hat in den letzten Jahren zu besonders massiven Verwerfungen und Verschlechterungen in der Arbeitswelt geführt.

Die Linksfraktion versteht ihren Kampf gegen den zunehmenden Leistungs- und Zeitdruck wie gegen die Angst auf dem Arbeitsmarkt als Herausforderung, zu der neben einer politischen Anti-Stress-Regulierung auch der Kampf gegen die ausufernden prekären Beschäftigungsformen der Leih- und Werkvertragsarbeit, der Mini-Jobs oder befristeten Arbeitsverhältnisse gehört. Bei diesen ist die psychosoziale Gefährdung für die Beschäftigten besonders hoch. Und zu dieser Herausforderung gehört sicherlich auch der Kampf gegen die informelle Ausweitung der Arbeitszeiten wie auch die Flexibilisierung der Arbeitszeitlagen - immer mehr Menschen müssen am Wochenende, abends oder nachts arbeiten. Und allein im Jahr 2010 haben die Deutschen 2,5 Milliarden Überstunden abgeleistet. Der Spieß muss umgedreht und eine Absenkung der Arbeitszeit in Angriff genommen werden. Unsere Fraktion fordert, die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit in einem ersten Schritt von 48 auf 40 Stunden zu senken. Perspektivisch wollen wir eine Obergrenze von 35, längerfristig von 30 Stunden – und das bei vollem Lohnausgleich! Das sind sicher hoch gesteckte Ziele. Wenn sie aber zu einem breiten gesellschaftlichen Projekt werden und wir mit Nachdruck daran arbeiten, dann können wir uns gegen die Kapitalinteressen durchsetzen - für eine menschenwürdige und soziale Arbeit und damit für ein gutes Leben.