Beim Fachkräftemangel die Unternehmen in die Pflicht nehmen

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Fachkräftemangel herrscht nur in den Unternehmen, wo es verantwortungslose Arbeitgeber gibt.

(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Das stimmt doch nicht! – Kai Whittaker (CDU/CSU): Unverantwortlich!)

– „Verantwortungslose Arbeitgeber.“ Hören Sie doch mal genau zu!

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das haben wir schon verstanden! Deswegen wird das nicht besser!)

Die Gewerkschaften haben dazu eine eindeutige Meinung. Die IG Metall beispielsweise kritisiert nicht nur, sondern hat auch Vorschläge, was für die Zukunft der Fachkräfte zu tun ist.

Gute Bildung, gute Qualifikation: Die Aufgabe der Regierung ist hier, die Rahmenbedingungen zu schaffen, zum Beispiel durch gute Kitabetreuung, aber auch durch Ganztagsangebote, insbesondere an Hauptschulen.

(Beifall bei der LINKEN)

Staatliche Aufgabe ist ebenfalls, die Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu schaffen. Dazu gehört politisch insbesondere die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung vom Kollegen Weiler von der CDU/CSU-Fraktion?

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Gerne.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Gut. – Herr Weiler.

Albert Weiler (CDU/CSU):

Frau Kollegin Krellmann, wir sind zusammen in einem Ausschuss. Ich arbeite mit Unternehmern zusammen; das habe ich schon getan, bevor ich im Bundestag war. Wir versuchen, durch Eigeninitiative der Unternehmen viele Fachkräfte heranzubilden. Das heißt, die Unternehmen investieren viel Geld in die Fachkräftenachwuchsgewinnung.

Sie sagen jetzt: Wenn in Unternehmen Fachkräftemangel ist, zeigt das, dass die Unternehmer verantwortungslos sind. – Im Umkehrschluss sagen Sie damit – wenn Sie das vielleicht richtigstellen! -, dass alle Unternehmer in meinem Wahlkreis, Mittelständler, die, ich sage mal, zu 80 Prozent Fachkräftemangel haben, keinen Nachwuchs kriegen, die gern 5, 10 oder 20 Auszubildende nehmen wollen, aber nicht kriegen – sie tun viel dafür; die Handwerkerschaft, die Innungen, die IHK tun auch viel dafür -, verantwortungslos sind. Ich glaube, das geht einfach zu weit.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Vielen Dank für die Frage. Ich darf Ihnen darauf antworten.

Ich habe gesagt: verantwortungslose Arbeitgeber. 80 Prozent der Betriebe bilden gar nicht aus.

(Katja Mast (SPD): Die sind alle verantwortungslos?)

– Wie bitte? Auch Sie dürfen mir gleich eine Frage stellen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Das entscheiden nicht Sie.

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Ich kann mich an die Zeit erinnern, wo die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland begonnen hat. Genau da haben wir zu diskutieren begonnen.

Wenn ich von verantwortungslosen Arbeitgebern rede, dann meine ich nicht die, die ausbilden und dafür sorgen, dass sie Facharbeiter kriegen, sondern ich meine die 80 Prozent, die davon profitieren, dass andere ausbilden. Sie müssen doch ganz genau wissen, wie das im Betrieb ist.

(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das haben Sie aber gerade anders gesagt!)

Als Gewerkschaftssekretärin habe ich das erlebt; ich weiß, wie das geht. Die Forderung, die wir als Antwort darauf erhoben haben, ist: Wir brauchen eine Umlagefinanzierung der Ausbildungsplätze, damit endlich auch die Arbeitgeber, die von der Leistung anderer profitieren, dafür zahlen, dass sie Fachkräfte kriegen. Das, finde ich, hat System, wenn man die Frage stellt: Was kann man gegen Fachkräftemangel machen?

(Beifall bei der LINKEN)

Darf ich weitermachen? Ja, oder?

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Machen Sie weiter. Ihre Redezeit läuft.

Jutta Krellmann (DIE LINKE):

Ich war bei dem Thema: Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen. Das ist aus unserer Sicht eine klare Aufgabe für die Bundesregierung.

Parallel ist es die Aufgabe von Unternehmen, sich an Tarifverträge zu halten und dafür zu sorgen, dass in den Betrieben entsprechende Bedingungen geschaffen werden. In Sachsen-Anhalt werben Unternehmen mit dem Bestehen von Tarifverträgen um Fachkräfte. Diese garantieren den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicheres Geld, geregelte Arbeitszeiten, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. In Niedersachsen machten die Metallunternehmen ihre Beschäftigten wuschig, weil sie sich zierten, die entsprechenden Tarifabschlüsse, die alle anderen Beschäftigten in der Branche bekommen haben, zu übernehmen. Inzwischen war der Druck so groß, dass auch niedersächsische Unternehmen ihren Fachkräften diese Tariflöhne zahlen müssen. „Ohne Tarifvertrag“ bedeutet immer: niedrigere Löhne bis hin zu Mindestlöhnen, keine Lohnerhöhungen mehr, weniger Urlaub usw. Tariflöhne sind ein wichtiges Kriterium, wenn man ausreichend Fachkräfte haben will.

(Beifall bei der LINKEN)

Unternehmen, die gute Rahmenbedingungen schaffen, haben in der Regel auch keine Probleme, Fachkräfte zu finden. Fachkräftesicherung braucht aber auch gute Arbeitsbeziehungen: zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Nur so lassen sich Regelungen über altersgerechte Arbeitsplätze auf der Basis von Betriebsvereinbarungen oder über eine neue Arbeitszeitpolitik auf der Basis von Tarifverträgen treffen. Das ist mit den genannten Akteuren möglich, wenn sie denn wollen. Mit solchen Maßnahmen schafft man Fachkräftesicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Was aber machen viele Arbeitgeber stattdessen? Sie übernehmen keine Verantwortung. Sie sind oftmals nicht bereit, in ihr Personal zu investieren. Sie wälzen alles auf den Staat ab und schreien laut im Chor: Alarm, Fachkräftemangel!

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Karneval ist vorbei!)

Diesen Arbeitgebern sage ich: Hören Sie auf zu jammern, und überlegen Sie, wo Sie selbst ansetzen können, um Fachkräfte an Ihren Betrieb zu binden, zum Beispiel indem Sie gute Löhne zahlen, sichere Arbeitsplätze schaffen, ihren Beschäftigten eine Perspektive für die Zukunft geben,

(Beifall bei der LINKEN)

betriebliche Ausbildung anbieten und auch stärken sowie junge Fachkräfte unbefristet übernehmen. Das müsste in allen Branchen gelten.

Als Gewerkschafterin wünsche ich in der aktuellen Tarifrunde insbesondere den Beschäftigten im Sozial-und Erziehungsdienst viel Erfolg im Kampf für ihre Tarifverträge und für die Anerkennung ihrer Arbeit. Dafür braucht es starke Gewerkschaften. Dafür tritt die Linke ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)