Arbeit umverteilen - Höchstarbeitszeit reduzieren

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass wir über Arbeitszeit reden können, liegt unter anderem daran, dass es einen kontinuierlichen Anstieg bei der Produktivität gegeben hat und weiterhin geben wird, zum Beispiel durch die Industrie 4.0. Bei der Verteilung der Arbeitszeit haben Betriebsräte ein ziemlich starkes Mitbestimmungsrecht. Problematisch wird es aber schon bei den ganzen Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz: verlängerte Öffnungszeiten und verkaufsoffene Sonntage hier, Wochenend- und Nachtarbeit da. Wenn wir über mehr Zeitsouveränität reden, können wir direkt damit beginnen, genau diese Ausnahmeregelungen zu streichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Millionen Menschen insbesondere im Einzelhandel hätte man dann sofort geholfen.

Die Grünen haben recht: Wir brauchen eine neue Arbeitszeitkultur. Aber dazu müssen wir an den realen Problemen ansetzen. Sie können doch nicht einfach über flexible Arbeitszeiten reden, ohne auch auf Höchstarbeitszeiten und Überstunden einzugehen. Nirgends sonst in Europa werden so viele Überstunden geleistet wie in Deutschland. Wer in der Arbeitszeitdebatte
tatsächlich Verbesserungen für alle Menschen erreichen will, muss das Kind beim Namen nennen. Deswegen fordert die Linke die Reduzierung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit als Signal an alle Beschäftigten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir reden doch im Bundestag nicht über Arbeitszeit, weil wir den Arbeitgebern noch längere Arbeitszeiten ermöglichen wollen. Nein, wir reden über Arbeitszeit, damit sich die Beschäftigten die Zeitsouveränität endlich zurückholen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen ein Rückkehrrecht auf Vollzeit, also auf mehr Arbeit. Gleichzeitig müssen wir über kollektive Arbeitszeitverkürzungen zu vollem Lohn- und Personalausgleich nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeitsverdichtung herrscht allerorts: immer mehr Arbeit mit weniger Personal und in höherem Tempo. Selbst in Krankenhäusern geht Profit vor Patienten. Diese Unlogik ist einer neoliberalen Entwicklung geschuldet, an der sich der Gesetzgeber aktiv beteiligt hat. Das einzugestehen und diese Schieflage zu beheben, wäre ein erster Schritt hin zu einer ehrlichen Arbeitszeitdiskussion. Wenn es um die Zeitbedürfnisse der Menschen geht, ist Ehrlichkeit super wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist mein grundsätzliches Problem mit dem Antrag der Grünen. Sie fordern darin einen Vollzeitkorridor und Wahlarbeitszeiten, selbstbestimmt über Einsatzort und Wochentage. Diese Wahlfreiheit kommt bei einigen bestimmt sehr gut an. Bei denjenigen, bei denen es keinen Unterschied macht, ob sie vom Büro aus, von zu Hause aus oder im Café bei einem Cappuccino am Laptop arbeiten, geht das. Aber was ist mit dem Krankenpfleger, der Industriemechanikerin oder dem Busfahrer im Dreischichtsystem? Was ist mit der Verkäuferin, der Kellnerin oder dem Gebäudereiniger? Diese werden aus meiner Sicht nicht erfasst. Wo sind die Vorschläge zur selbstbestimmten Arbeitszeit für diese Beschäftigten?

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Debatte über Zeitsouveränität macht gesellschaftlich doch nur Sinn, wenn sie nicht ausschließlich Menschen in privilegierten Jobs zum Maßstab nimmt. Genau das tun Sie aber und stellen sich damit aus unserer Sicht auf eine Stufe mit Arbeitgeberpräsident Kramer mit seinem Flexibilisierungswahn. Ich habe noch nicht über die Leute in Miniteilzeit, Dauerbefristungen oder die
vielen Erwerbslosen geredet, die alle händeringend mehr arbeiten wollen. Wir müssen das Bedürfnis nach Zeitsouveränität aller Menschen darauf abklopfen, wie es erstens mit einer gerechten, echten Umverteilung von Arbeit machbar ist, und

(Beifall bei der LINKEN)

zweitens, wer bei der Flexibilität am Ende darüber entscheidet: der Beschäftigte oder der Chef. Wir können uns die Diskussion sparen, wenn am Ende immer wieder das Interesse der Arbeitgeber im Vordergrund steht.

(Beifall bei der LINKEN – Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau das wollen wir aufbrechen! Einfach mal richtig lesen!)

Wir brauchen endlich einen Perspektivwechsel in dieser Frage. Diejenigen, die die Werte schaffen und damit den Reichtum in dieser Gesellschaft, müssen im Zentrum der Diskussion stehen,

(Beifall bei der LINKEN – Bernd Rützel (SPD): Ja, unbedingt!)

sonst verkommt die Arbeitszeitdiskussion nur wieder zu einem profitablen Deal für die Arbeitgeber. Das werden die Beschäftigten nicht mitmachen ‑ und Die Linke auch nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)