10 Euro Mindestlohn für alle!

24.03.2014

 

Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht trocken, da begannen Union und Arbeitgeber Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn zu fordern. Die SPD ist eingeknickt: Jugendliche unter 18 und Langzeitarbeitslose sollen in die Röhre schauen. Für DIE LINKE ist klar: Der Mindestlohn darf nicht zu einem Flickenteppich werden. Würde kennt keine Ausnahmen!

Hier Juttas Rede im Bundestag zu dem Thema


Jutta Krellmann
(DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wissen Sie: Gerade wir Linke können machen, was wir wollen - es ist immer alles Mist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Max Straubinger (CDU/CSU): Das ist wohl wahr!)

- Ich bin noch nicht fertig. - Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen in Betrieben rede und ihnen sage: „Die Linke fordert 10 Euro Mindestlohn", dann finde ich niemanden, der sagt, dass das nicht in Ordnung ist, sondern ich bekomme nur Zuspruch. Niemand sagt, dass er einen Mindestlohn in der Höhe, über die im Moment diskutiert wird, möchte. 10 Euro ist richtig, und 10 Euro ist gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Mindestlohn kommt, sehr verehrte Damen und Herren. Aus unserer Sicht ist er die unterste Haltelinie für alle, genauso wie die unterste Haltelinie im Bundesurlaubsgesetz ist, dass die Menschen Urlaub bekommen. Auch da gibt es keine Abweichung: Bundesurlaubsgesetz ist Bundesurlaubsgesetz. Seitdem wir über den Mindestlohn reden, gibt es aber Debatten darüber, wer alles eine Abweichung braucht und wer alles eine Sonderregelung haben möchte; das ist unglaublich. Das Arbeitgeberlager, die CDU/CSU und das Handwerk fordern seit Wochen Ausnahmen. Ich habe gestern Frühstücksfernsehen geschaut. Da war zu sehen, dass sogar die Spargelbauern in allen möglichen Regionen Abweichungen verlangen, weil sie die Spargelernte sonst, wenn der Mindestlohn eingeführt wird, in andere Länder outsourcen müssen. Das ist doch eine verrückte Geschichte; so etwas geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir, meine Damen und Herren, sind auch nicht die Ersten in Europa, die einen gesetzlichen Mindestlohn einführen; als 22. Land sind wir fast die Letzten. Nirgendwo hat der Mindestlohn zu Massenarbeitslosigkeit geführt. Dafür gibt es, obwohl alle darüber quatschen, überhaupt keinen Beleg. Das ist auch völliger Schwachsinn; das sind, wie es so nett gesagt wurde, Nebelkerzen. Dabei ist der Mindestlohn in den vergleichbaren europäischen Staaten in der Regel höher als der Mindestlohn, mit dem wir einsteigen werden; das ist eben schon mal gesagt worden. Ein Land, das den höchsten Mindestlohn hat, ist dabei aber leider vergessen worden, obwohl es auch ein Stück weit vergleichbar ist: Luxemburg mit einem Mindestlohn von 11,10 Euro. Frankreich hat einen Mindestlohn von 9,53 Euro, die Niederlande von 9,11 Euro.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Und wie hoch ist da die Arbeitslosigkeit?)

Selbst England hat einen Mindestlohn, der, gemessen an Kaufkraftstandards, höher ist als der, den wir in Deutschland haben werden.

(Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): So ist es! ‑ Max Straubinger (CDU/CSU): Können Sie auch die Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit vorlesen?)

Noch letzte Woche versprach die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: Der Mindestlohn kommt ohne Ausnahme. - Jetzt wissen wir: Die SPD ist an dieser Stelle eingeknickt - nichts anderes - und verkauft die vorgesehene Ausnahmeregelung jetzt als Erfolg.

(Zuruf von der SPD: Unsinn!)

Ausgerechnet für junge Menschen unter 18 ohne abgeschlossene Berufsausbildung soll es keinen Mindestlohn geben. Sie sollen künftig für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als über 18-Jährige. Damit machen Sie diese jungen Menschen zu Arbeitnehmern zweiter Klasse.

Ich habe in der Tarifpolitik dafür gekämpft, dass solche Regelungen aus den Tarifverträgen genommen wurden. Jeder, der sich einmal mit Tarifverträgen im Handwerk beschäftigt hat, kann sich noch daran erinnern, dass fast jeder Handwerkstarifvertrag Lohngruppen für über und unter 18-Jährige hatte. Wir haben lange gebraucht, um dafür zu sorgen, dass das abgeschafft wird, und jetzt wird es durch die Hintertür wieder eingeführt. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist Altersdiskriminierung und überhaupt nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Angeblich sollen Jugendliche so davon abgehalten werden, lieber einen besser bezahlten Aushilfsjob anzunehmen, statt eine Ausbildung anzufangen. Das ist völliger Quatsch. Frau Nahles und Co sprechen damit den Jugendlichen die Fähigkeit ab, eigene Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen. Die Jugend ist klüger, als wir alle glauben. Ich kenne keinen Jugendlichen, der die Chance hatte, eine Ausbildung zu machen, und sich dann entschieden hat, sie nicht aufzunehmen.

Ich denke da an meine Ausbildung: Mein Ausbildungsvertrag sah eine Ausbildungsvergütung von 222 D-Mark vor; nach der Ausbildung hätte ich 1 350 D-Mark verdient. Wenn ich als Angelernter in den gleichen Betrieb gegangen wäre, hätte ich nur 900 D-Mark bekommen. Man muss doch nicht glauben, dass Jugendliche nicht in der Lage sind, auszurechnen, was es für sie bedeutet, wenn sie eine Ausbildung machen: Sie holen die Differenz schnell wieder herein, weil sie nach der Ausbildung mehr verdienen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem ist: Es gibt zu wenige Ausbildungsplätze. 2013 haben nur gut zwei Drittel derjenigen, die einen Ausbildungsplatz wollten, auch einen Ausbildungsplatz erhalten. Es fehlt nicht an der Ausbildungswilligkeit junger Leute; es fehlt an dem politischen Willen der Großen Koalition, für mehr Ausbildungsplätze zu sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Schaffen Sie einen verbindlichen Rechtsanspruch auf eine Ausbildung! Nehmen Sie die Betriebe in die Pflicht! Führen Sie die Ausbildungsplatzumlage ein! Damit würden Sie endlich etwas für die Fachkräftesicherung tun. Stattdessen jammern Sie ständig über den Fachkräftemangel. Es gibt einige Ausbildungsbetriebe, die richtig viel und gut ausbilden. Andere machen nichts außer zu jammern. Bestrafen Sie nicht die Jugendlichen! Das hat mit einem Mindestlohn überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Letzter Punkt: Ausnahmeregelungen für Langzeitarbeitslose. Das ist im Grunde - ich habe leider nicht mehr so viel Zeit; deswegen muss ich mich kurzfassen - eine Fortsetzung der Agendapolitik der letzten Jahre. Dass Sie Menschen, die langzeitarbeitslos sind, von dieser Regelung ausschließen, ist nicht erträglich. Frau Pothmer hat bereits ausgeführt, dass das faktisch eine doppelte Unterstützung der Arbeitgeber ist. Das wird eher dazu führen, dass Menschen in Billiglohnjobs gedrängt werden, statt sie aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauszuholen. Deswegen sagen wir: Nein, keine Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose! Das ist zum Ersten nicht gerecht, und zum Zweiten erreicht man damit nicht das, was erreicht werden sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade demonstrieren Frauen draußen vor dem Reichstag für Equal Pay. Das finde ich total klasse. Aber hier drinnen verwehrt man durch die Ausnahmen beim Mindestlohn gerade den Menschen Equal Pay, die das eigentlich bräuchten, nämlich Jugendlichen und Langzeiterwerbslosen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)