10 Jahre Agenda 2010 und die Folgen für die Gewerkschaften (aus der Zeitung B&G zum 1. Mai)

22.04.2013
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Der zehnte Geburtstag der Agenda 2010 liegt hinter uns. Die Festreden sind gehalten und die Sektgläser weggeräumt worden. Man hat sich gegenseitig auf die Schultern geklopft und war zufrieden.  Überall konnte man es lesen: Deutschland verdanke der Agenda 2010 die wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre. Angela Merkel möchte die Agenda-Politik auf europäischer Ebene durch einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" permanent verankern und verstetigen.

Die Agenda Befürworter verweisen vor allem auf die Arbeitslosenstatistik. Dieses Argument verdienen eine genauere Betrachtung.

Zunächst einmal ist festzuhalten: wenn die Arbeitslosigkeit statistisch gefallen ist, so bedeutet das nicht, dass in Deutschland heute mehr Arbeit geleistet wird als vor der Agenda 2010. Das Arbeitsvolumen, die Kennzahl zur Messung der gesellschaftlich geleisteten Arbeitsstunden, hat kaum zugenommen seit 2003.  Wie ist das zu erklären? Ein Teil der gesunkenen Arbeitslosenzahlen ist statistischen Tricks zu verdanken- z.B. ältere Erwerbslose oder Menschen, die sich in kurzfristigen Maßnahmen der Arbeitsagentur befinden-  werden schlichtweg nicht mehr erfasst von der Statistik.

Aber auch dort, wo vormals Erwerbslose tatsächlich Arbeit gefunden haben, täuschen die scheinbar eindeutigen Zahlen der Arbeitslosenstatistik. Viele ehemals reguläre Vollzeitstellen wurden ersetzt durch geringfügige Beschäftigung oder „irregulären" Beschäftigungsformen mit geringerer Arbeitszeit. Im Wesentlichen war das kein realer Beschäftigungsaufbau sondern eine Umverteilung von regulären Beschäftigungsverhältnissen zu Mini- und Midi-Jobs sowie atypischen Beschäftigungsformen.

In Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren ein beständig wachsender Niedriglohnsektor entwickelt, der zu einem großen Teil in diesem Bereich liegt. Dazu gehört vor allem der seit der Agenda 2010 stark wachsende Bereich der Leiharbeit. Die Folge: eine wachsende Zahl von Menschen verdienen so wenig, dass sie trotz Arbeit nur mit zusätzlicher staatlicher Unterstützung über die Runden kommen können. Das ist nichts anderes als ein gigantisches Programm zur staatlichen Subventionierung von Niedriglöhnen- im letzten Jahr wurden dafür etwa 11 Milliarden Euro bezahlt. Kann man da von einem „Jobwunder" sprechen?

Die Agendapolitik bedeutete vor allem wachsenden Druck: für die Erwerbslosen, die angeblich selbst verantwortlich sind für ihre Situation, aber auch für Beschäftigte, die mit dem Schreckgespenst „Hartz IV" im Arbeitsalltag diszipliniert werden und daher eher bereit sind, schlechtere Arbeitsbedingungen, höheres Arbeitstempo und niedrigere Löhne zu akzeptieren.  

Das Wachstum des Niedriglohnsektors und der zunehmende Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte wurden von den Architekten der Agenda 2010 von vornherein  als notwendige Voraussetzungen für die „Senkung der Arbeitskosten" und die „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit" in Rechnung gestellt. Gerhard Schröder hat das 2005 offenherzig eingestanden, als er in Davos davon sprach, dass Rot-Grün mit der Agenda 2010 „einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut" habe, „den es  in Europa gibt".

Der rationale Kern der Agendapolitik bestand im wesentlichen darin, die Profite der Unternehmen auf Kosten der Beschäftigten zu erhöhen.  Diese Form der „Senkung der Arbeitskosten" ist ein riesiges Programm zur Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums. Die Lohnquote, der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen ist deutlich gesunken in den letzten Jahren. Die Unternehmensgewinne, die aus der Arbeit erwirtschaftet worden sind, haben dagegen zugenommen.

Die sozialen Verheerungen, die die Agenda 2010 angerichtet hat, lassen sich nur mit politischen Mitteln rückgängig machen. Die Hartz-Gesetze müssen weg und die Deregulierung des Arbeitsmarktes rückgängig gemacht werden. Die Sozialdemokratie hat mit ihren Veranstaltungen zum  10. Geburtstag der Agenda 2010 gezeigt, dass sie keinen Bruch mit der Politik Schröders vollziehen wird. Deshalb braucht es auf politischer Ebene eine Alternative zur Logik der „Wettbewerbsfähigkeit" und Standortpolitik.

Im Wahljahr 2013 findet ein entscheidender Richtungskampf in den Gewerkschaften statt: Teile der Gewerkschaften sind trotz der schlechten Erfahrungen von 2003 bereit, den Agendaparteien eine neue Chance zu geben. Eine Minderheit  wünscht sich eine die politische Alternative. Wie dieser Kampf auf lange Sicht entschieden wird, hängt wesentlich davon ab, dass die LINKE sich einmischt und für eine  Alternative zur sozialdemokratischen Standortpolitik eintritt.