Das elfte Gebot: Du darfst nicht streiken?

01.06.2015

Am Freitag ist der größte Angriff auf das Streikrecht in der bundesdeutschen Geschichte in ein Gesetz gegossen worden – das sogenannte „Tarifeinheitsgesetz“! Während bei den Arbeitgeberverbänden gewiss die Sektkorken knallen, blicken Betriebsräte, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie viele Beschäftigte sorgenvoll in die Zukunft. Denn wie das Gesetz nach Inkrafttreten praktisch umgesetzt wird, ist weiterhin unklar – klar ist nur: Die neuen Regelungen werden sich negativ auf ihren Alltag und ihre Arbeit auswirken.

Kampfplatz Betrieb

Bekanntlich darf ab Juli nur noch die Gewerkschaft ihre Mitglieder zum Streik für einen Tarifvertrag innerhalb eines Betriebes aufrufen, die nachweislich mehr Mitglieder hat als andere Gewerkschaften im selben Betrieb. Damit rückt der eigentliche Schwerpunkt von Tarifverhandlungen per Gesetz in den Hintergrund. Wichtig ist nicht mehr, was ein Tarifvertrag den Beschäftigten bringt, sondern allein, ob er überhaupt für sie gilt. Das müssen Gewerkschaften untereinander auskämpfen und von Arbeitsgerichten prüfen lassen. Da sich die Beschäftigten nachvollziehbarerweise in Gewerkschaften organisieren werden, die für sie auch einen geltenden Tarifabschluss rausholen dürfen, wird es in der Gewerkschaftslandschaft ordentlich krachen. Denn nur die größere Gewerkschaft kommt zum Zug beziehungsweise zum Tarifvertrag, die kleinere hat das Nachsehen. Die Jagd nach mehr Mitgliedern wird den Gewerkschaften praktisch gesetzlich verordnet und provoziert somit Revierkämpfe. Das ist die Aufkündigung des Betriebsfriedens per Gesetz. Sie werden gezwungen, sich künftig vor allem mit sich selbst und Gerichtsterminen zu beschäftigen, anstatt sich bei Tarifverhandlungen für Beschäftigte stark machen zu können. Den Arbeitgeber freut es, kann er sich doch in seinem Chefsessel zurücklehnen und mit der Blockadepolitik bei der Verteilungsfrage im Betrieb munter weitermachen.

Dank Schwarz-Rot hat er mit dem Tarifeinheitsgesetz jetzt eine neue Möglichkeit, erfolgreiche Tarifabschlüsse für seine Beschäftigten zu behindern. Dieser beispiellose staatliche Eingriff in die Tarifautonomie fällt nämlich in eine Zeit, in der sich die Beschäftigten nicht mehr durch die Mär der angeblich so schlechten Wirtschaftslage zwingen lassen, Mini-Abschlüsse oder reine Arbeitsplatzgarantien hinzunehmen. Jetzt geht es nach Jahren staatlicher Deregulierung und gewerkschaftlicher Zurückhaltung in Tarifverhandlungen endlich wieder um spürbar mehr in der Lohntüte zu deutlich besseren Arbeitsbedingungen. Es wird auch wieder für die Möglichkeit von Tarifverträgen in Betrieben gestreikt. Die Beschäftigten haben verstanden, dass sie das Recht haben, sich für die Verbesserung ihrer Situation zu engagieren, zu organisieren und auch zu streiken. Das sehe ich mit großer Freude, denn nach fast 15 Jahren Bescheidenheit gibt es in vielen Branchen, allen voran dem Dienstleistungsbereich, einen ungeheuren Nachholbedarf. Das haben die Arbeitgeber begriffen, schalten trotzdem weiter auf stur und provozieren damit Streiks.

Autonom & plural

Das Tarifeinheitsgesetz gefährdet die Solidarität der Gewerkschaften untereinander. Doch gerade die ist in Zeiten so wichtiger Arbeitskämpfe, wie etwa im Sozial- und Erziehungsbereich, unerlässlich! Lassen wir nicht zu, dass mit dieser faktischen Einschränkung des Streikrechts erneut die Beschäftigten und ihr Kampf für bessere Arbeitsbedingungen das Nachsehen haben. Das Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsgericht landen – so viel ist sicher. Bis zu einer Entscheidung wird es aber noch Jahre dauern. In dieser Zeit müssen wir stark sein und an unseren Zielen dran bleiben. Wir schaffen spürbare Verbesserungen für die Beschäftigten nur, wenn wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen – auch wenn es ein Gesetz verlangt! Lasst uns zeigen, was Tarifautonomie und Tarifpluralität wirklich bedeuten!

Quelle: linksfraktion.de, 26. Mai 2015