Ein bewegender Bericht von Sofia Kousiantza (SYRIZA-Aktivistin) aus Griechenland - Jutta Krellmann MdB

Ein bewegender Bericht von Sofia Kousiantza (SYRIZA-Aktivistin) aus Griechenland

30.10.2012
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Gehalten auf unserer Eurokrisentour "Für ein soziales Europa" 5.-12. Oktober 2012

Anfang Oktober hat die Regierung in Athen angekündigt weitere Sparmaßnahmen zu ergreifen: noch  13,5 Milliarden Euro will der Staat erneut einsparen. Da aber die Regierung sich zurecht nicht mehr traut konkreten Sparmaßnahmen anzukündigen, sind bisher nur die groben Richtlinien der Einsparungen bekannt gegeben: Es geht um eine weitere Senkung des Mindestlohns, die Schließung von Krankenhäusern und Hochschulen, und um horizontalen Senkungen der Renten und Löhne.

Um die heutige Lage der griechischen Gesellschaft zu verstehen, ist allerdings eine kurze Zusammenfassung des 2. Memorandums (mindestens was den Beschäftigten angeht) nötig. Das 2. Memorandum ist das Sparprogramm, das die Regierung von Premier Papadimos im Februar 2012 gebilligt hat. Die Sparmaßnahmen dieses Memorandums sind noch voll im Gang und die neuen Sparmaßnahmen der 13,5 Mrd. Euro werden die soziale Katastrophe und die humanitäre Krise, die das Memorandum verursacht hat, nur  weiter vertiefen.

Zwei wichtigen Richtlinien des 2. Sparprogramms waren a. eine drastische Senkung der Lohnkosten und die Deregulierung der Arbeitsverhältnissen, b. der Abbau des Sozialstaats, vor allem gewaltiger Abbau des gesetzlichen Versicherungssystems.

 

a. Drastische Senkung der Lohnkosten und Deregulierung von Arbeitsverhältnissen

Lohnsenkung

Mit dem 2. Sparprogramm wurde der Mindestlohn von einem Tag auf dem anderen um 22% gesenkt, das bedeutet ein Nettoeinkommen von 490 Euro im Monat. Speziell für die jungen Arbeitnehmer und Arbeitenehmerinnen unter 25 Jahre alt, war diese Senkung 32% (Netto 400 Euro). Dementsprechend wurde das Arbeitslosengeld von 460 auf 350 Euro gesenkt. Die Senkung des Mindestlohns führte auch zur Senkung von Abfindung, Weihnachts- und Eltern-Geld, Überstunden-Zahlung, Nacht-Lohn und Renten. Im 2. Sparpaket war es wortwörtlich zu lesen, dass die Löhne in Griechenland vergleichbar mit denjenigen in Bulgarien und Rumänien werden müssen.

 

1.b. Deregulierung des Arbeitsmarkts

Bis Februar 2012 galten in Griechenland Tarifverträge, die schwer erkämpft worden waren. Die wurden mit dem Memorandum abgeschafft und von Individuellen- oder Betriebsvereinbarungen ersetzt, die meistens zeitbefristet sind. Der Wandel einer Vollzeitstelle zur Teilzeit wie auch die Abwechselung von Voll- und Teilzeit liegt seit dem Sparpaket an dem Arbeitgeber allein, wird also ohne die Arbeitnehmer entschieden.

In Griechenland gab es eine automatische Lohnerhöhung alle 3 Jahre Arbeit. Diese Lohnentwicklung wurde auch  abgeschafft.

Bis Februar 2012 konnten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein sich an die  Schiedskommission wenden, d.h. auch ohne die Zustimmung des Arbeitgebers. Nach dem 2. Sparprogramm gibt es diese Möglichkeit nicht mehr: Der Arbeigeber muss zustimmen, damit die Schiedskommission interveniert.

 

b.                  Abbau des Sozialstaats, und v.a. des gesetzlichen Versicherungssystems

Gemäß dem 2. Sparpaket muss der griechische Staat mehrere Milliarden Euro bei Medikamenten, Renten, Löhnen im öffentlichen Dienst, sozialen Zuschlägen und  an dem Programm von Öffentlichen Investitionen einsparen.  Es wird auch durch Fusion oder sogar direkte Schließung von Schulen, Krankenhäusern und Filialen der gesetzlichen Rentenkassen gespart, wie auch natürlich von der Entlassung von 15.000 Mitarbeitern im öffentlichen Sektor im Jahr 2012 und 150.000 Mitarbeitern bis 2015.

Besonders auf das System der sozialen Versicherung hat das Memorandum  fatale Auswirkungen. Die schon erwähnte Lohnsenkungen führen direkt zur Senkung der Beiträge, was einen Verlust von 2,2 Milliarden Euro jährlich bedeutet. Dazu gehen jährlich Beiträge von 6,5 Milliarden Euro verloren, wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der Lohnkürzungen, die schon mit dem 1. Sparpaket durchgesetzt wurden. Die Armutslöhne und Rente führen definitiv auch zu Steuerhinterzieheung, die jetzt schon 8 Milliarden  Euro von den Rentenkassen entzieht. Die Schließung von vielen Betrieben entzieht zusätzliche Beiträge.  Obwohl das gesetzliche Versicherungssystem äußerst gefährdet war, wurden gemäß dem 2. Sparpaket  die Arbeitgeber-Beiträge für die größte gesetzliche Rentenkasse  um 5%  gesenkt. Diese Senkung hat auch die heutige Regierung bestätigt. Allein das sagt viel über den Angriff auf die Arbeit der gerade in Griechenland voll im Gang ist.

Die Rentenkassen in Griechenland haben sehr großen Rücklagen, die sie in Konten bei der griechischen Notenbank hatten. Die Notenbank hat dieses Geld als Zwangsinvestition in griechischen Anleihen investiert, ohne die Genehmigung der Rentenkassen zu haben, und nach der Umschuldung sind von diesem Geld ungefähr 14 Milliarden Euro verloren gegangen. D.h. die Umschuldung hat dem sozialen Versicherungssystem 14 Mrd. Euro gekostet.

Das Hauptargument der Troika und der griechischen Regierung warum die Deregulierung des Arbeitsmarkts und die Senkung der Lohnkosten nötig waren, war dass eine Senkung der Arbeitskosten zur Anstieg der  Beschäftigung führen würde. Allerdings hat sich die Arbeitslosenquote in den letzten 2 Jahren in Griechenland verdoppelt  (sie ist gerade offiziell über 24%). Bei den jungen ArbeitnehmerInnen ist sie über 50%. Gleichzeitig hat sich die Rezession weiter vertieft und verlängert wobei die Staatsschulden sind um 50% gestiegen! Gerade, 8 Monaten nach dem Sparprogramm, hat in Griechenland fast eine halbe Million Familien gar kein Einkommen, oder anders formuliert gar kein arbeitendes Mitglied.

Die heutige Regierung von Premier Samaras will auch eine neue sozial ungerechte Besteurung durchsetzen. Zum Beispiel, eine Familie mit 3 Kindern wird dieses Jahr 3 Löhne mehr als früher in Steuer zahlen. Eine Freiberüfler-Familie mit gesamtem jährlichen Einkommen von 8.000 Euro und mit einem Kind wird ab sofort um 200% mehr Steuer zahlen müßen. Eine Freiberüfler-Familie mit 2 Kindern und jährliches Einkommen von 10.000 Euro wird um 400% mehr Steuer zahlen als früher. Im Gegensatz, die Freiberüfler ohne Kinder mit Einkommen bis 65.000 Euro im Jahr bekommen eine Steuererhöhung von 6 bis 24%. Und um es noch absurder zu machen, hat die Regierung sogar eine Steuersenkung abgeschloßen, für diejenigen die mehr als 75.000 Euro verdienen.

Außerdem will die Regierung und die Troika den schon extrem gekürzten Mindestlohn weitersenken und natürlich das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre steigern. Und das in einer Zeit, wo die Arbeitslosenquote rasant steigt. Das Forschunginstitut des Dachverbandes GSEE sieht hervor, dass 2013 die Arbeitslosigkeit auf  34% steigen wird. Das wird die höchste Zahl von allen OECD-Ländern sein. Letzten Juni haben täglich 2.000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Jeder zweite unter 25 J.a. ist arbeitslos. Jeder 2. Arbeitnehmer arbeitet gerade teilzeit, jeder 3. hat keine soziale Versicherung und keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Die Löhne im öffentlichen und privaten Sektor sind insgesamt in den letzten 3 Jahren um 25 bis 40% gesunken.  Das reale Einkommen ist allerdings um 50% gesunken, weil es direkte und indirekte Sondersteuer eingeführt wurden.

Die Regierung hat auch die Jahre von 15 auf 20 gesteigert, die jemand gearbeitet haben muß, um überhaupt Anspruch auf gekürzte Rente zu haben. Für eine ganze Rente muß man 40 Jahre gearbeitet haben. Wenn man also daran denkt, dass die Regierung auch das Rentenalter steigern will, fragt sich, in wie vielen Menschenjahren wird ein heutiger Arbeitnehmer überhaupt Rente bekommen, wenn die Arbeitslosigkeit so hoch ist und wenn die Teilarbeit immer häufiger wird. Außerdem, zeigt  jede wissenschaftliche Recherche dass in Krisen- und Rezenssions-Zeiten die Lebenserwartung sinkt. Es wäre also logisch, meiner Meinung nach das Rentenalter auch zu senken.

In den letzten 3 Jahren ist der Ölpreis um 80% gestiegen, der Heizöl wird gleich um 60% steigen, die Tickets für die öffentlichen Verkehrsmittel um 40%. Der Strompreis steigt ohne Ende.

Gleichzeitig ist der Abbau des Sozialstaates unfassbar: Diesen Sommer sind 5.000 LehrerInnen in die Rente gegangen. Sie wurden von  nur 200 neuen LehrerInnen ersetzt. In allen Grundschulen Griechenlands wurden insgesamt nur 5 Lehrer eingestellt. Ihr Lohn beträgt 600-700 Euro. Die Schulen sind nicht mehr in der Lage ihren Grundbedürfnisse in Strom, Wasser, Heizöl, Papier usw. zu decken. Die Eltern, mit den gekürzten Löhnen, werden aufgefordert die Kosten zu übernehmen! Die Schulbibliotheken haben geschloßen, wie auch viele Musikschulen, Multikulturell- und Kunst-Schulen. Jedes 3. Kind findet dieses Jahr keinen Kitaplatz! Ähnlich ist die Situation in den Hochscchulen und in den Krankehäusern. Die Gefangenen in mehreren griechischen Gefängnissen bekommen seit einiger Zeit kein gekochtes Essen mehr, weil die Köchen entlassen wurden. Die Steuerhinterziehung steigt nicht nur weil die Menschen wegen der Rezession nicht mehr in der Lage sind ihre Steuer zu zahlen, sondern auch weil die Anzahl der Beamter in den Steuerämtern drastisch gesenkt wurde.

Dieser Alptraum ist kein Naturphänomen, sondern gerade die Auswirkung der Austeritätspolitik. 

 

Höheres oder verstecktes Einkommen

Leider hat die Regierung nichts unternommen, um die höheren oder versteckten Einkommen zu besteuern. Nach einem Artikel des Spiegels, haben die Reichen Griechenlands zwischen 2003 und 2011 über 200 Milliarden Euro aus dem Land geholt, Geld das aus kriminellen Aktivitäten kam. Die letzte Zeit das Top-Thema in den Nachrichten in Griechenland war die sogenannte Lagarde-Liste, eine Liste mit den Namen von fast 2.000 großen Steuerhinteziehern, die Bankkonten in der Schweiz haben. Diese Liste ist seit 3 Jahren in den Händen von 2 Finanzministern,  die sie bisher sorgfältig versteckt hatten.

Außerdem haben zwischen 1994 und 2007 die sukzessiven Steuerentlastungen für das große Kapital und die großen Unternehmen zur drastischen Senkung der staatlichen Einnahmen geführt, und zwar trotz dem deutlichen Anstieg der Produktivkraft der Arbeit.

Anstatt dass die Regierung all dieses Geld besteuert oder zurückfordert, spart sie heute an Sozialstaat, Löhnen und Renten.

Es wäre auch hier wichtig zu sagen, dass es in Griechenland einen klaren und starken Zusammenhang zwischen Regierung, Banken und Repräsentanten von Medien und Industrie gibt. Dises Dreieck der Korruption funktioniert folgendermasen: Mit  der Unterstützung der Medienpropagnada kommt die Regierung in die Lage pleite Banken mit öffentlichem Geld zu unterstützen, die wiederum Kredite an die Medien- und Industrie-Besitzer geben, Kredite die sonst  nicht zu bekommen wären.

 

Privatisierung

Nach dem 2. Sparprogramm sollten 16 Mrd. Euro bis 2015, und 50 Mllrd bis 2022 durch den Verkauf des staatlichen Vermögens gesammelt werden. Im Memorandum ließt man auch den Satz, dass „zusätzliches Vermögen verkauft werden wird, falls die Einnahmensziele nicht erreicht werden“

Bis Ende Juni sollten mehrere staatliche Gesellschafte verkauft werden:  

 

u.a. die 670 Kilometer lange Egnatia Straße, Häfen, Flughäfen,  Strände, das alte Flughafengelände in Elliniko, die Postbank, die Gasgesellschafte, die Erdölgesellschaft, der super rentabel Sportwettenanbieter, die Wassergesellschaft von Athen und Thesaloniki, das Internationale Pressezentrum.

Ein spezieller Fonds hat alle zur Privatisierung Vermögensstücke übernommen, um sie zu verwerten, d.h. zu verkaufen. Alles was dieser Fonds übernimmt wird nie wieder zurück zum Staat kehren, selbst wenn es unverkäuflich ist. Was nicht verkauft werden kann, wird zerstückelt und so zu dem jeweils vom Markt angebotenen Preis verkauft.

Es ist selbstverständlich, dass wegen der tiefen Rezession sogar die rentablen Geselschaften unterbewertet verkauft werden...

 

Widerstandskraft

Trotz der Verzweiflung, der existenziellen Angst und der Terrorisierung von den Medien, leistet die griechische Bevölkerung Widerstand: die civil disobedience Bewegung „Wir Bezahlen Nicht“, der monatelang Stahlarbeiterstreik, der Streik bei der Zeitung „Eleftherotipia“, wo die Mitarbeiter sogar den Betrieb übernommen haben, das Netzwerk von Elektrikern, die den Strom wieder anstellen, wenn er abgestellt wird, Fair-Trade-Bewegungen ohne Verbindungsmänner, spontane Aufstände der Vesammelten an den Nationalen Feiertagen, Streiks in unterschiedlichen Branchen, Generalstreiks an den Tagen der Abstimmung der Memoranden, Grossdemonstrationen, Occupy-Bewegung am Sintagma Platz, sind alle Ausdrücke einer Gesellschaft die ihre eigene Ruinierung nicht hinnimmt.

Am 26.9.2012 fand ein unerwartet erfolgreicher Generalstreik statt, der diesen Eindrück erneut bestätigt hat. Am 6.10 fand am Sintagma Platz eine Kundgebung statt, um gegen den Abbau des öffentlichen Gesundheitssystems zu protestieren. Am 8.10 hatten die zwei großen Dachverbände zur Kundgebung aufgerufen. Wegen des Besuchs der Bundeskanzlerin in Athen fand auch am 9.10 eine große Kundgebung statt. Der letzte Generalstreik fand am 18.10 statt und die Kundgebung am Sintagma Platz am selben Tag wurde brutal von der Polizei angegriffen.

All diese Kämpfe werden trotz der Depression, die die Armut mit sich bringt, trotz der Angst vor der Arbeitslosigkeit und natürlich trotz dem Druck der Arbeitgeber durchgeführt. Dieser letzter Druck nimmt eine sehr konkrete und nach dem Memorandum auch legale Form an: Die Arbeitgeber erpressen die Gewerkschaften, neue, für die Arbeitgeber günstigere Betriebsverträge zu akzeptieren. Wenn es nicht der Fall ist, haben die Arbeitgeber nach dem 2. Sparpaket auch die Möglichkeit individuelle Vereinbarungen mit ihren Arbeitnehmer abzuschließen.

Der korrupte griechische Staat hilft dem griechischen und internationalen Kapital bei ihrem Kampf gegen die Arbeit, und zwar nicht nur im Parlament sondern auch auf der Straße. Anfang Oktober sollte der Verteidigungs-Minister die Arbeiter der größten Werft Griechenlands treffen (Skaramagas-Werft). Die Arbeiter wollten sich bei ihm beschwerden, weil sie seit 6 Monaten keinen Lohn mehr bekommen! Der Minister ist zum Treffen nicht aufgetaucht, die Arbeiter sind frustriert in den Garten des Ministerium eingetreten, um direkt dannach von der Polizei brutal zerschlagen zu werden. Diesmal gibt es mindestens Fotos, wo Polizisten schon blutenden Arbeiter unregelmäßig schlagen (d.h. mit dem eisernen Griff des Schlagstockes). 120 Arbeiter sind zur Polizeistation gebracht worden, 17 von den werden vor Gericht stehen. Den meisten wird u.a. Störung des Hausfriedens vorgeworfen.

 

Die Kombination von unmenschlicher Sparpolitik und hochrangiger Korruption, stellt den Zusammenhalt und die materielle Reproduktion der griechischen Gesellschaft in Frage. Die Koalitions-Regierung ist vom jungsten Steuerhinterziehungsskandal erschüttert, die Pasok und die Demokratische Linke, zwei Koalitionspartner von Nea Dimokratia, sind mit immensen innerparteilichen Problemen konfrontiert: die Situation in Griechenland ist schon wieder extrem unstabil.

 

 

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Betrieb & Gewerkschaften zum Generalstreik in Südeuropa am 14. November 2012