Immer weniger Beschäftigte durch Tarifvertrag oder Betriebsrat geschützt

30.08.2017

Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Bestandsaufnahme des deutschen Tarifvertragssystems“ (BT-Drs. 18/13181) von Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag

 

Anfrage & Antwort BT-Drs. 18/13181

Frankfurter Rundschau 29.8.17

Auswertung der Anfrage


Zusammenfassung:

Nur noch knapp jeder dritte Betrieb in West- und gerade einmal jeder fünfte Betrieb in Ostdeutschland ist tarifgebunden. In West- ist die Tarifbindung der Betreibe im Vergleich zu Ostdeutschland stärker gesunken. So lässt in West die Tarifbindung der Betriebe im Vergleich zu 2009 nach: Handel minus 9%-Punkte- damit hat mehr als jeder Dritte 2009 tarifgebundene Arbeitgeber die Tarifbindung gekündigt (36%), Bau- und Gastgewerbe Minus 8%-Punkte und das Verarbeitende Gewerbe Minus 7%-Punkte. In West fällt damit nur noch jeder zweite Arbeitnehmer (51%) und in Ost jeder dritte Arbeitnehmer (36%) unter einen Branchentarifvertrag.

Immer weniger Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen stützen das Tarifvertragssystem. Zwischen 2000 und 2005 gab es auf Bundesebene 376 Erlasse auf Allgemeinverbindlichkeit. Zwischen 2011 und 2017 hat sich die Zahl mit 166 Erlassen mehr als halbiert. Von den rund 73.000 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen sind zur Zeit 443 und damit weniger als 1% allgemeinverbindlich.

Es verwundert, dass die Bundesregierung der Auffassung ist, dass eine Erosion des Systems der Branchen- bzw. Flächentarifvertrags nicht zu beobachten ist. So sei die Zahl der Flächentarifverträge zwar rückläufig. Allerdings weist die Zahl der Tarifverträge insgesamt in den letzten Jahren eine steigende Tendenz auf. Dies kann durch die Auswertung nicht bestätigt werden. So fallen 2016 unter Firmentarifverträge im Vergleich zu 2009 in West 8% und in Ost 11% der Beschäftigten- das sind 2 bzw. 3 Prozentpunkte weniger als 2009.

In knapp jedem zehnten (9%) Betrieb mit über fünf Beschäftigten gibt es 2016 einen Betriebsrat(-1% Punkt zu 2009). Damit fallen gerade einmal zwei von fünf Beschäftigten( 41%) unter die Betriebliche Mitbestimmung der Betriebsverfassung (-4%-Punkte zu 2009). Die Branche Gesundheit/Erziehung/Unterricht ist die einzige, welche seit 2009 einen Zuwachs der Betriebe mit Betriebsratsgremium (+3%-Punkte auf 13%) verzeichnen kann. Damit hat fast die Hälfte (46%) der Beschäftigten (+6%-Punkte zu 2009) einen Betriebsrat.

Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

„Die Arbeitgeber haben in weiten Teilen den sozialen Kompromiss aufgekündigt und die Bundesregierung will von all dem nichts wissen. Der tarifpolitisch gut regulierte Kern wird immer kleiner und die tarifschwachen und -freien Zonen immer größer. Es ist auch Aufgabe der Politik Beschäftigte vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützten. Der Wettbewerb darf nicht über die schlechtesten Arbeitsbedingungen, sondern muss über die Produkte ausgetragen werden. Das 2015 in Kraft getretene Tarifstärkungsgesetz von Ministerin Nahles springt zu kurz und muss weiterentwickelt werden. Wenn. sich z.B. die Tarifparteien einig sind, darf es kein Vetorecht von anderen Arbeitgeberverbände geben, wie das jetzt der Fall ist. Klar ist aber auch, dass nur starke Gewerkschaften den Arbeitgebern gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne abringen können. Es liegt also auch an den Beschäftigten, ob sie zusammen oder alleine kämpfen. Nur eine organisierte Belegschaft und Betriebsräte, die Mitbestimmung und Teilhabe einfordern können die Spirale der Schmutzkonkurrenz nach unten aufhalten. Um die Spaltung der Belegschaften zu stoppen müssen Betriebsräte das Recht erhalten, in allen wirtschaftlichen Fragen effektiv mitzubestimmen. Der Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ist in jedem Fall von der Zustimmung des Betriebsrates abhängig zu machen.“

 

Anfrage & Antwort BT-Drs. 18/13181

Frankfurter Rundschau 29.8.17

Auswertung der Anfrage