Schutzrechte sind nicht verhandelbar

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während früher Schwangere vor dem Zugriff der Arbeitgeber geschützt waren, sollen sie nun verhandeln dürfen, in welchem Umfang sie Schutz für sich und ihr ungeborenes Kind in Anspruch nehmen.

(Maik Beermann [CDU/CSU]: Genau! Das finde ich gut!)

Als Frau und als Gewerkschafterin schrillen bei mir die Alarmglocken, wenn ich so etwas höre.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im ersten Moment liest sich der Gesetzentwurf so, als sei alles im grünen Bereich. Gut ist zum Beispiel – das ist ja auch schon gesagt worden –, dass Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen in das Mutterschutzgesetz aufgenommen werden – und einiges mehr. Wir haben eben ja auch schon einiges gehört.

Dass die Bundesregierung gleichzeitig aber Schutzrechte für Frauen im Mutterschutzgesetz aufweicht, geht gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Bundesregierung stellt sich wieder einmal klar an die Seite der Arbeitgeber und ihrer Lobbyisten. Diese haben nun den Fuß in der Tür, um weitere Schutzrechte für alle Beschäftigten abzubauen. Es muss doch niemand glauben, dass es, wenn es einmal beschlossen ist, bei diesem einen Abbau bleibt. Bisher garantierte und organisierte der Staat den Schutz. Nun sollen die einzelnen Beschäftigten individuell darüber verhandeln, wie viel Schutz sie in Anspruch nehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: „Mitbestimmung“ heißt das!)

Wer da der Sieger sein wird, wissen wir doch.

(Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörden werden doch nicht abgeschafft! – Zuruf von der CDU/CSU: Kein Generalverdacht!)

Meine Damen und Herren von der CDU und SPD, dieses Spiel lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schutzrechte von Beschäftigten sind nicht verhandelbar. Bisher waren Schwangere vor Nachtarbeit ab 20 Uhr und vor Sonn- und Feiertagsarbeit geschützt. Diese Regelung weichen Sie nun auf und erlauben, dass Schwangere bis 22 Uhr und am Wochenende arbeiten können. Sie haben eine falsche Vorstellung von Selbstbestimmung. Ich frage Sie: Welche Verkäuferin – nicht Ärztin, nicht Höherqualifizierte – kann denn ihrem Chef widersprechen und sagen, dass sie nicht bis 22 Uhr an der Kasse sitzen will?

(Sönke Rix [SPD]: Die Aufsichtsbehörde ist doch nicht ausgeschaltet! – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Welche Angestellte im Service kann den Wunsch ihres Chefs ablehnen, am Wochenende zu arbeiten?

(Sönke Rix [SPD]: Das macht doch die Aufsichtsbehörde!)

Wer wie die CDU ein Gesellschaftsbild hat, bei dem die Frauen hinter dem Herd stehen,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

der braucht wahrlich keinen Mutterschutz für beschäftigte Arbeitnehmerinnen.

(Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Da haben Sie in Teilen recht, aber nur in Teilen!)

Mit diesem Gesetzentwurf laufen Sie weiter gegen die Rechte der Beschäftigten Amok. Zuerst haben Sie mit den Hartz-Gesetzen die Axt an den Schutz der sozialen Sicherungssysteme gelegt: Sie haben die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld gekürzt, die Zumutbarkeitsregeln abgeschafft und Hartz IV eingeführt. Anschließend haben Sie mit der Agenda 2010 den Arbeitsmarkt zerlegt: Sie zwangen Menschen in prekäre Beschäftigung und haben damit den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa geschaffen.

(Maik Beermann [CDU/CSU]: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit!)

Sie nahmen den Beschäftigten die Sicherheit und den Schutz des Normalarbeitsverhältnisses.

Dank Ihrer Politik gibt es für viele Menschen nur noch die Arbeitsschutzgesetze, die zwischen ihnen und den Arbeitgebern stehen. Diese demontieren Sie jetzt auch noch. Dass Sie damit bei den Verletzlichsten in der Gesellschaft anfangen, ist regelrecht ekelhaft.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Sie verstehen einfach nicht, dass Beschäftigte im Kapitalismus per Gesetz geschützt werden müssen.

(Sönke Rix [SPD]: Das sind aber lange vier Minuten!)

Sie brauchen keine Wahlfreiheiten für alle möglichen Optionen. Selbst das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern eben nicht auf Augenhöhe stattfinden.

(Petra Crone [SPD]: Vier Minuten Redezeit!)

Wenn diese Erkenntnisse und medizinische Grundlagen nicht das Handeln bestimmen, dann sind wir mittlerweile im postfaktischen Zeitalter angekommen. So geht das nicht.

(Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Ich glaube, die Uhr der Präsidentin ist stehen geblieben!)

Finger weg vom Mutterschutz! Arbeitsrechte sind Schutzrechte! Schutzrechte sind nicht verhandelbar. Deshalb werden wir als Linke diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)