Über eine Million Jobs durch 1,7 Milliarden Überstunden vernichtet

23.12.2017

Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Überstunden in Deutschland“ (Drs. 19/70) von Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Zusammenfassung:

1,73 Milliarden Überstunden machten die abhängig Beschäftigten in Deutschland. Davon wurde über die Hälfte nicht bezahlt: 947 Millionen Arbeitsstunden wurden nicht vergütet. Das Arbeitsvolumen von bezahlten und unbezahlten Überstunden würde ausreichen, um über eine Million Vollzeit- Arbeitsplätze zu schaffen.

Mehr als die Hälfte der Überstunden in Deutschland verrichten diejenigen, die eine zwei- bis dreijährige Berufsausbildung abschlossen haben und diejenigen, die noch eine Aufbauqualifizierung (Meister/Techniker) absolvierten.

Ein Drittel der Beschäftigten mit mehr als zwei Überstunden in der Woche geben an, dass sie die Arbeit in der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht schaffen. Für drei Viertel der Überstunden sind die Unternehmen verantwortlich. Nur ein Viertel der Beschäftigten macht Überstunden freiwillig aus Spaß an der Arbeit oder um sich etwas hinzuverdienen.

O-Ton Jutta Krellmann, MdB, Expertin für Arbeit und Mitbestimmung für DIE LINKE im Bundestag:

„Überstunden schaden uns allen. Die einen arbeiten bis zum Umfallen, die anderen haben keine oder zu wenig Arbeit. Es würde über eine Million Vollzeit-Arbeitsplätze mehr geben, wenn die Beschäftigten keine Überstunden leisten müssten. Wir müssen nicht nur Reichtum, sondern auch Arbeit gerechter verteilen.“

Ergebnisse im Einzelnen:

Laut Mikrozensus leisteten im Jahr 2016 die abhängig Beschäftigten 828,7 Millionen Überstunden (-15,9% zu 2012). 334,4 Millionen Überstunden waren bezahlt (40,3%). Frauen machten 110,1 Millionen (32,9%) und Männer 225,3 Millionen (67,4%) bezahlte Überstunden. 493,3 Millionen Überstunden waren unbezahlt (59,5%). Frauen machten 152,1 Millionen (30.8%) und Männer 341.2 Millionen (69,2%) unbezahlte Überstunden. [Antwort 1 auf Frage 1]

(Beim Mikrozensus ist von einer Untererfassung der Überstunden auszugehen! So schreibt die Bundesregierung: „Darüber hinaus ist die Frage nach der Anzahl der in der letzten Woche geleisteten bezahlten bzw. unbezahlten Überstunden freiwillig, daher dürften die erfassten Überstunden unterzeichnet sein. Auswertungen aus dem Mikrozensus sind daher eher für Strukturanalysen geeignet (z.B. nach Geschlecht, Alter etc.).“ (Schriftliche Frage im August 2016 Arbeitsnummer 233 und 234))

Zahlen laut Mikrozensus:

  • In 2016 wurden 671,6 Millionen Überstunden (-15,8% zu 2012) in Normalarbeitsverhältnissen geleistet. Damit waren 1,5 % aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. Davon waren 413,3 Millionen (61,5%) unbezahlt und 258,3 Millionen (38,4%) bezahlt. [Antwort 2 auf Frage 2]
  • Von atypisch Beschäftigten wurden 2016 ca. 120,3 Millionen Überstunden (-17% zu 2012) geleistet. Damit waren ca. 1,5 % aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 57 Millionen (47,3%) Überstunden waren unbezahlt, 63,4 Millionen (52,7%) bezahlt. [Antwort 2 auf Frage 2]
  • 2016 machten Leiharbeiter 15,2 Millionen Überstunden (-7.3% zu 2012). Damit waren ca. 1,5 % (+0.2%-Punkt zu 2012) aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 5,7 Millionen (37,5%) Überstunden waren unbezahlt. 9,5 Millionen (62,5%) Überstunden waren bezahlt. [Antwort 3 auf Frage 3]
  • 2016 machten befristete Beschäftigte 70,4 Millionen Überstunden (-16,7% zu 2012). Damit waren ca. 1,7 % (-0.3%-Punkt zu 2012) aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 35,7 Millionen (50.7%) Überstunden waren unbezahlt. 34,7 Millionen (49.3%) Überstunden waren bezahlt. [Antwort 3 auf Frage 3]
  • Unbefristete Vollzeitbeschäftigte leisteten 622,9 Millionen Überstunden (-17,3% zu 2012). Damit waren ca. 1,5 % (-0,4%-Punkte zu 2012) aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 390,7 Millionen (62,7%) Überstunden waren unbezahlt. 232,2 Millionen (37,3%) Überstunden waren bezahlt. [Antwort 4 auf Frage 4]
  • Teilzeitbeschäftigte (bis 20 h pro Woche) leisteten 45,4 Millionen Überstunden (-17,6% zu 2012). Damit waren ca. 1,4% (-0,2%-Punkte zu 2012) aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 19,5 Millionen (43%) Überstunden waren unbezahlt. 25,9 Millionen (57%) Überstunden waren bezahlt. [Antwort 4 auf Frage 4
  • Geringfügig Beschäftigte leisteten 10,1 Millionen Überstunden (-59,4% zu 2012). Damit waren ca. 0,8% (-0,3%-Punkte zu 2012) aller tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden Überstunden. 4,7 Millionen (46,5%) Überstunden waren unbezahlt. 5,5 Millionen (54,4%) Überstunden waren bezahlt. [Antwort 4 auf Frage 4]
  • Im Jahr 2016 entfielen auf [Antwort 8 auf Frage 8]:
    • Helfer-/Anlerntätigkeiten ca. 35,1 Millionen Überstunden (4,2%)
    • fachlich ausgerichtete Tätigkeiten ca. 327,2 Millionen Überstunden (39,5%)
    • komplexe Spezialisten-Tätigkeiten ca. 146,7 Millionen Überstunden (17,7%)
    • Hochkomplexe Tätigkeiten ca. 318,6 Millionen Überstunden (38,5%)
  • Im Jahr 2016 entfielen auf [Antwort 9 auf Frage 9]: Laut IAB leisteten Jahr 2016 die abhängig Beschäftigten 1,729 Milliarden Überstunden (- 9,7% zu 2012). Davon waren 782 Millionen Überstunden bezahlt (45,2%). Dies entspricht 478.000 Vollzeitäquivalenten. 947 Millionen Überstunden waren unbezahlt (54,7%). Dies entspricht 578.000 Vollzeitäquivalenten. In Summe würde es ohne Überstunden 1,06 Millionen Arbeitsplätze mehr geben. [Antwort 15 auf Frage 15; Tab. 1/2/3]„Im Gegensatz dazu (Mikrozensus) ermittelt das IAB die Überstunden über das ganze Kalenderjahr hinweg und ist aufgrund der umfassenden Abbildung der Überstunden unter Einbeziehung anderer Quellen eher für konjunkturelle Analysen geeignet.“ (Schriftliche Frage im August 2016 Arbeitsnummer 233 und 234)
  • Beamte leisteten in 2016 61,5 Millionen Überstunden, davon 52,5 Millionen (85%) unbezahlt. Angestellte leisteten 639,7 Millionen Überstunden, davon 404,4 Millionen (63,2%) unbezahlt. Arbeiter leisteten 123,2 Millionen Überstunden, davon 32,9 Millionen (26,7%) unbezahlt.
  • Im Durchschnitt leistete jeder abhängig Beschäftigte 13,3 unbezahlte und 9,1 bezahlte Überstunden im Jahr? Dies entspricht pro Woche 0,3 unbezahlten und 0,2 bezahlten Überstunden. [Antwort 14 auf Frage 14]:
  • Laut BAuA-Arbeitszeitbefragung leisten über die Hälfte der Befragten keine oder max. zwei Überstunden in der Woche. Gründe für Überstunden bei Personen mit mehr als zwei Überstunden in der Woche sind [Antwort 17 auf Frage 17]; Arbeit ist in der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht zu schaffen (33%); betriebliche Gründe(28%); betriebliche Vorgaben (15%); Spaß an der Arbeit (18%); Private Gründe (Zuverdienst) (6%)
  • Das bezahlte und unbezahlte Überstundenvolumen insgesamt entsprach rund 1,1 Millionen Vollzeitäquivalenten im Jahr 2016, im Jahr 2006 waren es rund 1,3 Millionen Vollzeitäquivalenten und im Jahr 2012 rund 1,15 Millionen Vollzeitäquivalenten. [Antwort 15 auf Frage 15]

 

Jahr

Bezahltes Überstunden- Volumen in Millionen Stunden

Arbeitszeit Vollzeit Std.

Vollzeit Äquivalent

2012 (Mikro)

397,6

188000 (18/9499)

2012 (IAB)

860

1.655

519000

2016 (Mikro)

335,4

k.A.

2016 (IAB)

782

1.638

478000

Jahr

Unbezahltes Überstunden- Volumen in Millionen Stunden

Arbeitszeit Vollzeit Std

Vollzeit Äquivalent

2012 (Mikro)

563,2

266000 (18/9499)

2012(IAB)

1.039

1.655

627000

2016 (Mikro)

493,3

k.A.

2016 (IAB)

947

1.638

578000